Ein guter Nachbar bleibt der, den man von weitem grüßt

Dr. Thomas Goppel
14.07.2007
Rede bei der Ausstellung „Vis-à-vis“ der Künstler K. Witti und A. Ewgraf

Ein englisches Sprichwort lautet:
„Ein guter Nachbar bleibt der, den man von weitem grüßt.“

In England mag das so sein, bei uns in Eresing nicht! Hier wohnen zwei in ihrer Arbeit sehr gegensätzliche Künstler direkt „vis-a-vis“ gegenüber und sind dennoch gute Nachbarn. Gemeinsam stellen sie sogar eine Ausstellung auf die Beine.

Sehr gerne bin ich heute zur Eröffnung der Ausstellung „Vis-à-vis“ der beiden Künstler Kali Witti und Alexander Ewgraf gekommen. Als bayerischer Kunstminister und Eresinger führt mich sowohl dienstliche als auch private Neugier hierher.

Meine Damen und Herren, „Begegnung der Gegensätze“ – so haben die beiden Künstler dieses Projekt genannt. Und in der Tat treffen hier Gegensätze aufeinander. Da wäre einmal ihre Herkunft:

– Alexander Ewgraf kommt aus dem fernen Irkutsk – einer der schönsten Städte in Sibirien mit 600.000 Einwohnern. Geboren 1961 studierte er dort Geschichte und Kunstgeschichte und siedelte 1991 als freischaffender Künstler nach Deutschland über.
– Die Heimat von Kali Witti hingegen liegt wesentlich näher als die seines Nachbars. Witti stammt ursprünglich aus Miesbach und studierte an der Akademie der Bildenden Künste in München. Seit 1982 arbeitet Witti -14 Jahre älter als Ewgraf als freischaffender Kunst- und Theatermaler sowie als Graphiker.

Was beide miteinander verbindet, ist ihre neue Wahlheimat: Eresing. Eigentlich kann uns Eresinger nicht wirklich überraschen, dass sich Feingeister wie diese in unserem Dorf niederlassen. Schließlich wohnen wir im schönsten Ort in Oberbayern, wie wir unlängst in der Zeitung lesen konnten;

So weit voneinander entfernt der Herkunftsort der beiden Künstler liegt, so unterschiedlich ist auch ihre Arbeit. Der Stil, den sie jeweils für sich entdeckt und entwickelt haben, könnte gegensätzlicher nicht sein: Der eine malt gegenständlich, der andere abstrakt. Beide Stilrichtungen werden – so versprechen sie uns – bei dieser Ausstellung in einen intensiven Dialog miteinander treten.

Karl Witti stellt in seinen Werken den Menschen, die Natur, die Landschaft, die Tiere realistisch dar.

– Seine Bildersprache ist voller Intensität und Ausdruckskraft und reicht bis an die Grenze des Fotorealismus heran.
– In seinen Werken verknüpft er Bildelemente aus der abendländischen Kunstgeschichte mit Versatzstücken der modernen Zivilisation und Naturstudien.

Die Kunst von Karl Witti umfasst – unter anderen – realistische Porträts von Personen der Zeitgeschichte ebenso wie vor-zivilisatorische Gesellschaftsutopien als Gegenwelt zur‘ ruinenhaften Modeme.

Die Bilder von Alexander Ewgraf hingegen sind abstrakt – und zwar im strengen Sinn. Manche verwenden ja den Begriff „abstrakt“ auch dann, wenn gegenständliche Formen lediglich stark vereinfacht werden. Die Werke von Ewgraf schließen jedoch jede figurative Realität aus und stehen damit in einem echten Gegensatz zum gegenständlichen Stil.

Mit Pinsel und Spachtel entstehen, in einer Mischung aus impulsiver und kontrollierter Malgestik, abstrakte Darstellungen von sinnlichen Farbakkorden. Farbe wird damit unmittelbar erfahrbar und durch keinen gegenständlichen Bedeutungsinhalt verstellt. Das macht auch eine andere Art der Rezeption von Kunst notwendig: Denn diese abstrakte Malerei kann nicht auf einer rationalen Ebene dechiffriert werden; vielmehr spricht sie unmittelbar die Gefühlswelt und das Unterbewusste des Betrachters an.

Die abstrakte Malerei beruht ja ganz allgemein auf der Erkenntnis, dass es neben der erfahrbaren Welt des Materiellen ein höheres, sinnlich unfassbares Reich gibt. Aus dieser zweiten Wirklichkeit des Innenlebens und der Ideen- und Gefühlswelt, aus seinem „unbekannten Ich“ schöpft Alexander Ewgraf.

Meine Damen und Herren, abstrakte Kunst ist keine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Gerade dort, wo die Religion die Darstellung des Menschen verboten hat, wurde z.B. die Ornamentik besonders weit entwickelt. Dennoch gilt Kandinsky als Begründer des abstrakten Stils im 20. Jahrhundert. Seine radikale Ablehnung in der UdSSR und im Dritten Reich hat dazu geführt, dass in Westdeutschland nach 1945 jeglicher Realismus als Ausdruck eines totalitären Regimes diskreditiert wurde.

Vor einiger Zeit hätte man sich daher hierzulande noch gescheut, abstrakte und gegenständliche Kunst zusammenzubringen. Mittlerweile jedoch werden Stilrichtungen nicht mehr ideologiebeladen betrachtet. Dadurch wird die Kunst wieder nach ihren eigenen Kriterien beurteilt.

Meine Damen und Herren, die Ausstellung, die wir heute eröffnen, gibt uns einen Einblick in die große Bandbreite moderner Kunst des 21. Jahrhunderts. Wir können gespannt dem „eigendynamischen Dialog“, der hier entstehen soll, lauschen:

– einem Dialog zwischen abstrakt und gegenständlich;
– einem Dialog zwischen Sibirien und bayerischem Oberland;
– einem Dialog zwischen zwei Künstlern und Nachbarn in Eresing.

Der Ausstellung „Vis-à-vis“ wünsche ich den verdienten Erfolg, den Künstlern für die Zukunft alles Gute.

Uns allen wünsche nun faszinierende und spannende Einblicke!

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