Magische Würfel aus Melancholia

Von Birgit Kremer

Eresing: Zu einer ungewöhnlichen Ausstellungseröffnung haben die drei KünstlerAlexander EwgrafTobias Krug und Karl Witti sowie der Kurator des Teams, Christian Burchard am vergangenen Samstag in das Eresinger Atelier von Ewgraf eingeladen. Im Rahmen der Ausstellungsreihe „Vis-à-Vis“, die jeden Sommer in Eresing für die Dauer einer Woche stattfindet, präsentieren sie noch bis zum 26. Juli unter dem Titel „Der Hintergrund als Vordergrund – Die Faszination des Details“ ein gemeinsames Projekt, zu dem, wie schon zuvor, Künstler, die in der Kunstgeschichte bereits einen festen Platz haben, eingeladen wurden: Altmeister Albrecht Dürer und die beiden bedeutenden Gegenwartskünstler Eberhard Havekost und A. R. Penck.

Dr. Thomas Goppel, der die Ausstellung eröffnete, betonte den „einmaligen Charakter des Projekts“, der jedoch nur erfasst werden könne, wenn man sich als Betrachter darauf einlasse. „In diesen Räumen sind fünf Antworten auf Dürer zu sehen“, sagte Goppel, und bezeichnete „Kunstausstellungen als Antworten auf Situationen, denen der Betrachter wiederum eine eigene Antwort hinzufügt.“

Eigenwillige Bezüge zwischen der Kunst

Zentrales Motiv der Ausstellung ist die Gegenüberstellung von Werken der fünf zeitgenössischen Künstler Havekost, Penck, Ewgraf, Krug und Witti und vergrößerten Details aus dem Hintergrund von Kupferstichen Dürers. Den Anstoß dazu gaben Dürer-Zitate, die Karl Witti seit den 1990er Jahren in seine zeichnerischen Werkzyklen aufnahm und interpretierte. Alle fünf Künstler führen einen höchst individuellen Dialog mit den Meisterwerken der Kupferstichkunst des Nürnberger Malers und Stechers und stellen so eigenwillige Bezüge zwischen der Kunst der Renaissance und der Moderne her. Auf diese Weise entsteht eine wortlose Kommunikation der Bildwerke, die von ihren ähnlichkeiten und Widersprüchen lebt und dem Besucher viel Freiraum bietet, eigene Assoziationen herzustellen.

Gleich im ersten Raum treffen wenig bekannte Aktbilder A. R. Pencks auf Dürers „Vier nackte Weiber“ aus dem Jahr 1497. Neben der gelungenen Konfrontation von altmeisterlicher Kunst und Moderne erlaubt diese Konstellation auch eine vergleichende Studie der Aktmalerei einst und jetzt, was dem Besucher einen unbefangenen Zugang zur Gegenwartskunst ermöglicht. In der gegenüberliegenden Raumhälfte setzt sich Karl Witti in seinen Zeichnungen mit Dürers Kupferstichen „Hieronymus im Gehäus“ und „Flucht nach ägypten“ auseinander. Die Verlorenheit seines in einem „postindustriellen Arkadien“ stehenden Hieronymus wird durch die verdichteten Flächen einer fast fotorealistischen Wiedergabe der Landschaftselemente nur scheinbar gebrochen.

Glasobjekte mit faszinierender Leuchtkraft

Im Obergeschoss hat der Mathematiker, Informatiker und Glas- und MultimediakünstlerTobias Krug den magischen Würfel aus Dürers „Melancholia“ zum Ausgangspunkt seines künstlerischen Zwiegesprächs gewählt und in eine graphische Projektion umgesetzt. Erstaunlich ist ein weiterer Werkzyklus, in dem aus den Geburtsdaten der fünf Künstler und der zugehörigen Planetenkonstellationen ein Farbmuster errechnet wurde. In einem weiteren Arbeitsgang wurden diese Farbmuster in Glasobjekte von faszinierender Leuchtkraft transformiert. Ebenfalls im Obergeschoss treffen die subtil gebrochenen Oberflächen von Eberhard Havekosts dreiteiligem Zyklus „Jungle“ aus dem Jahr 2008 auf die rund fünfhundert Jahre früher entstandene „Maria auf der Rasenbank“ von Dürer. Die reduzierten, auf ihre formalen Strukturen zurückgeführten Palmwedel Havekosts scheinen den gewählten Detailausschnitt aus Dürers Kupferstich direkt zu projizieren.

Alexander Ewgraf schließlich, der für seine radikal minimalistischen Raumkörper bekannte Installationskünstler, setzt Dürers „Ritter, Tod und Teufel“ aus dem Jahr 1513 eine raumfüllende, polychrome Installation entgegen, deren labyrinthische Anlage und schier explodierende Farbigkeit kein Entkommen mehr zulässt.

Von Ewgraf stammt auch die in der nur wenige Schritte vom Atelier entfernten Alten Schule montierte Rauminstallation, die mit den Sehgewohnheiten des Besuchers spielt. In einem „Schwarzraum“, einem ganz mit schwarzer Folie ausgekleideten Saal, entwickeln seine aus mit Papier ummantelten und weiß grundierten Kunststoffrohren gestalteten Raumobjekte ein Eigenleben. Plötzlich erscheint Weiß in allen Schattierungen bis hin zu Dunkelgrau, die abstrakten Linien fordern den Besucher eindrücklich auf, dem Gesehenen eine eigene Antwort entgegenzustellen und Position innerhalb des Raums zu beziehen.

Eine künstlerische Auseinandersetzung mit einem so bedeutenden Künstler der Kunstgeschichte wie Dürer bedeutet immer auch ein Wagnis.

Ein Glück für die zahlreichen Besucher der Ausstellungseröffnung, dass die Eresinger Künstler um Ewgraf dieses Wagnis eingegangen sind, denn ihre kongenialen Antworten laden auf eine Entdeckungsreise in die Kunst der Renaissance und Moderne ein!

Die Ausstellung im Atelier „Vis-à-Vis“, Kirchstraße 4, 86922 Eresing, dauert vom 19. bis zum 26. Juli. Unkonventionelle Führungen, bei denen die Besucher aktiv beteiligt werden, finden am Samstag, 25., und Sonntag, 26. Juli, jeweils um 14 Uhr statt; zusätzlich wird am Mittwoch, 22. Juli, um 19 Uhr eine Abendführung angeboten. Unter dem Titel „Kleider machen Leute – Dürer und seine Selbstporträts“ hält der Dürer-ExperteDr. Philipp Zitzelsberger am Samstag, 25. Juli um 19 Uhr einen Vortrag. Öffnungszeiten sind von Montag bis Freitag 16 bis 20 Uhr Samstag und Sonntag von 11 bis 20 Uhr.

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